Berlin/Köln. Die Pandemie trifft die Menschen in Problemvierteln der Städte besonders stark. Warum mobile Impfstationen eine Antwort sein können.

Vor dem Impfbus im Kölner Stadtteil Chorweiler bilden sich lange Schlangen. Der Arzt zieht eine Dosis des Herstellers Moderna auf und impft und impft. Chorweiler ist eine Trabantenstadt aus den 70er Jahren. Früher hätte man von einem sozialen Brennpunkt gesprochen, weil hier viele Menschen auf sehr engen Raum zusammen wohnen, die Arbeitslosigkeit mit fast 20 Prozent sehr hoch ist, viele Menschen in den unterschiedlichsten Ländern ihre Wurzeln haben, einige kaum deutsch sprechen.

Corona kommt zur Armut noch dazu

Heute nennt die Stadt sie „vulnerable Sozialräume“, doch die Probleme sind die gleichen geblieben. Fast 50 Prozent der Kinder leben in einem Haushalt, der Hartz-IV-Unterstützung bekommt. Zu der Armut kommt jetzt noch Corona: Chorweiler hat eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 500 pro 100.000 Einwohner. Die Stadt Köln liegt insgesamt bei unter 190, in den besseren Stadtvierteln wie Junkersdorf sind es unter 65, in Klettenberg nicht mal 30.

Dass sie mit ihrem Pilotprojekt die Impfreihenfolge außer Kraft setzt, weist Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) entschieden zurück: „Wir hebeln sie nicht aus“, sagt sie. Es sei gelungen, „für diese Menschen in den Sozialräumen eine Priorisierung auf die Gruppe drei vorzuziehen, und die Gruppe drei ist jetzt dran.“ Es würde mit zusätzlichem Impfstoff geimpft. Niemand müsse deshalb befürchten, durch diese Aktion später als geplant an die Reihe zu kommen, rechtfertigt sie sich.

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Beim Impfen im Zweifelsfall „großzügig verfahren“

Reker erhält Unterstützung vom Paritätischen Gesamtverband. „Das mobile Impfen in sozial benachteiligten Wohnvierteln ist nicht nur eine Sache der Gerechtigkeit, sondern mit Blick auf die dort gegebenen hohen Inzidenzzahlen auch eine Sache der Vernunft“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider unserer Redaktion: „Wir schützen uns alle.“ Gleichzeitig rät er, an der Impfpriorisierung festzuhalten. „Andernfalls bekämen wir neue sehr schwierige Gerechtigkeitsdiskussionen.“ Er rät „im Zweifelsfalle großzügig zu verfahren“, um effektiv zu sein. Auch Reker spricht von einem „Akt der Gefahrenabwehr“ für alle Kölner.

Der Kölner Stadtteil Chorweiler ist größtenteils eine Trabantenstadt aus den 70er Jahren. Hier wohnen sehr viele Menschen auf engem Raum. Das beflügelt Corona. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag zuletzt über 500.
Der Kölner Stadtteil Chorweiler ist größtenteils eine Trabantenstadt aus den 70er Jahren. Hier wohnen sehr viele Menschen auf engem Raum. Das beflügelt Corona. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag zuletzt über 500. © AFP | Ina Fassbender

Selbst wenn die Datenlage sehr ist dünn, sind zwei Phänomene auffällig. Während der ersten Welle verteilten sich die Infektionen auch in den gutbürgerlichen Vierteln zum Beispiel nach dem Skiurlaub in Ischgl. Nun verbreitet sich das Virus dort, wo die Menschen dicht zusammenleben – und dort wohnen viele Menschen mit Migrationshintergrund, die als Pflegerinnen und Pfleger oder an der Supermarktkasse, als Reinigungskräfte, Essensauslieferer oder in Fabriken arbeiten, in Berufen also, in denen Homeoffice nicht möglich ist.

Aufschlussreiche Corona-Studien aus den USA und Großbritannien

Auch Arbeitslosigkeit könnte ein Grund sein. Eine deutschlandweite Auswertung von Krankenkassendaten von Mitte 2020 zeigt, dass arbeitslose Menschen häufiger wegen einer Coronainfektion ins Krankenhaus kommen.

Im Ausland gibt es eine Reihe von Studien, die belegen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem sozialen Status und einer Covid-Infektion. In den USA zeigten Statistiken, die seit Beginn der Pandemie erhoben werden, das Schwarze deutlich häufiger an einer Corona-Infektion starben als Weiße. Auch in Großbritannien, wo das Virus besonders verheerend wütete, zeigen die Zahlen, dass der Wohnort auch über die Sterblichkeitsrate der Erkrankung entscheidet.

In Deutschland ist die Datenerfassung schwierig. Wer aber mit Ärztinnen und Ärzten spricht, die auf Intensivstationen arbeiten, und von denen viele nicht zitiert werden wollen, bekommt die Bestätigung. Die Risikogruppe – in der ersten Welle Alte und Vorerkrankte – hat sich verändert. Die Patienten sind jünger, ärmer, vorerkrankt und haben oft Migrationshintergrund.

In den sozialen Brennpunkten die Impfungen vorziehen, rät der Diakon

So wie in Chorweiler. Der Zusammenhang zwischen den Lebensumständen in den sozialen Brennpunkten und einer Coronainfektion ist so offensichtlich, dass viele Städte und Gemeinden nun verstärkt auf Aufklärung setzen. Herne im Ruhrgebiet plakatiert in neun Sprachen den Aufruf, sich impfen zu lassen, andere Städte setzen Impf-Scouts ein, die Überzeugungsarbeit leisten sollen.

Um so wichtiger findet Diakon Michael Oschmann von der Pfarrei Johannes der XXIII. in Chorweiler die Impfaktion in seinem Hochinzidenz-Stadtteil. „Ich halte es für wirklich sinnvoll, in solchen Ballungsgebieten, in solchen Sozialräumen die - und halte es auch für die gesamte Stadt für besser“, sagt er im Gespräch mit dem Domradio: „Auf Dauer müssen alle geimpft werden. Wenn ich da irgendwo im Kölner Süden in einer 450-Quadratmeter-Wohnhalle mit viel Garten mein Dasein friste, kann ich dem Ganzen viel entspannter aus dem Weg gehen, als wenn ich in solchen Stadtteilen wohne. Und da bin ich in der Regel ja auch anders versorgt, sowohl im Alltäglichen als auch im Gesundheitlichen. Und insofern möchte ich da den Politikern gerne den Rücken freihalten diesmal und sagen: Nein, dafür muss sich keiner schämen, das ist tatsächlich eine gute Idee.“